Welche Schule für mein Kind?   Von unserem Mitglied, Prof. Dr. Anne Ratzki

Ergebnisse der aktuellen Elternbefragung in Kölner Grundschulen müssen aus sozialdemokratischer Sicht kritisch diskutiert werden

2022 führte das Wuppertaler Institut für Bildungsökonomische Forschung im Auftrag der Stadt Köln eine Elternbefragung  von4nach5 in allen Jahrgängen der Kölner Grundschulen durch. Es ging um die Schulformwünsche der Eltern nach der 4. Klasse. Unter der Überschrift „Soziale Kluft in Bildungsfragen“ erschien am 5. 12. ein Artikel von Alexandra Ringendahl im Kölner Stadtanzeiger.

Diese Befragung muss dringend kommentiert werden.

Wir haben uns in der Vorstandssitzung am 6.12.22 mit dieser Untersuchung beschäftigt. Durch die Online-Befragung waren Eltern aus den bürgerlichen Vierteln überrepräsentiert, viele sozial benachteiligte Eltern beteiligten sich nicht. Es besteht nun die Gefahr, dass die Befürworter des Gymnasiums die weitere Diskussion bestimmen und Gesamtschulen noch mehr benachteiligt werden. Angeblich wünschen nur 30% der Grundschuleltern eine Gesamtschule, tatsächlich werden aber jedes Jahr schon 38% angemeldet, steigende Tendenz. Und zwischen 700 und fast 1000 Kinder finden jedes Jahr keinen Platz, weil es zu wenige Gesamtschulen gibt. Dabei sind Gesamtschulen die beste Möglichkeit, schon im Jugendalter die soziale Spaltung in Köln zu verringern.

Der Vorstand schlägt vor, bei weiteren Veröffentlichungen in den Medien durch Leserbriefe die sozialdemokratische Sichtweise einzubringen.

Zur Information gibt es folgende Texte:

  1. Eine Zusammenfassung der Elternbefragungs-Ergebnisse von Dagmar Nägele, SPD Mitglied und sachkundige Bürgerin im Schulausschuss für die SPD
  2. Eine Stellungnahme des Dezernats 4 Bildung, Jugend und Sport von Herrn Pfeuffer
  3. Die Untersuchung von 4nach5 

 

Zu 1. Dagmar Nägele (sachkundige Bürgerin im Schulausschuss für die SPD, Mitglied in der AfB, Initiative für eine Gesamtschule in Rondorf)                                                                                                                                                  

 Elternbefragung vor Schulwahl von 4nach5

Anmerkungen

Zur Untersuchung allgemein:

Zunächst ist anzumerken, dass das befasste Wuppertaler Institut für Bildungsökonomische Forschung als durchweg renommiert und seriös gelten darf. Methodisch ist die Untersuchung detailliert und auch selbstkritisch aufgearbeitet. Die ermittelten Daten entsprechen den Erwartungen und sind nicht neu in ihrer Ausrichtung. Es ist grundsätzlich lobenswert, dass die Stadt sich dieser Untersuchung unterzieht.

Pfeuffer (Amt für Schulentwicklung, A.R.) sieht aber in seiner Auswertung auch die Grenzen des Datenmaterials „als Befragungsergebnisse mit schulentwicklungsplanerischen Überlegungen und Sichtweisen zu spiegeln und Ableitungen… vorzunehmen“ .

Also: Primat der Politik

Die Orientierung an einer Online-Befragung ist wissenschaftlich üblich und durch die statistische Prüfungsverfahren abgesichert, ist aber als Methode in diesem Fall von größerer Bedeutung, weil durch das Online-Verfahren nach Selbstauskunft des Instituts die bildungsfernen Eltern weniger erreicht wurden. Viele  Eltern kamen nicht zu Wort, die Untersuchung bildet nicht die gesamte Realität ab. Nur 15,93 % der Eltern haben sich beteiligt. Nur 6500 Fragebögen wurden ausgewertet.  Dies ist nicht repräsentativ für die Eltern der Stadt (Hinweis des Instituts selbst , Seite V). Besonders ausgeschlossen sind die Eltern mit geringen Bildungserwartungen, überrepräsentiert sind die mit höherer Bildungsaspiration und Sorgen um die Schulbiografie ihrer Kinder. Das führt dazu, dass in bürgerliche Vierteln Gymnasien bevorzugt werden, in anderen auch Gesamtschulen und Realschulen stärker angewählt werden.

Fazit: bei allen Entscheidungen ist davon auszugehen, dass für die Eltern mit geringer Bildungserwartung mitgedacht und entschieden werden muss, ihr Elternwille liegt in unserer Hand. Primat der Politik.

Außerdem sind Standorte nicht erfasst worden, die als Neubaugebiete noch keine Eltern befragen konnten (Rondorf West). Pfeuffer sieht hier die Priorität für Gesamtschulen.

Die Bildungsaspirationen der Eltern sind erwartungsgemäß. 54% streben die Allgemeine Hochschulreife an.  An der allgemeine Hochschulreife orientiert, 72% nennen das Gymnasium, , 15% eine Gesamtschule. Dass Eltern die Schulform Gymnasium als besonders wichtig erachten ist allgemeines Erkenntnisgut in Deutschland. Dahinter steckt zunächst der Wunsch nach einem Hochschulzugang, aber auch das Nichtwissen über die Funktion einer Gesamtschule, bzw. das Nichtvorhandensein einer Gesamtschule und fehlende Erfahrungen mit dieser Schulform.

Eltern ist vor allem das gliedrige Schulsystem aus eigener Schulbiografie bekannt.

Bei der Frage nach Gymnasien fällt auf, dass dies stark mit dem Sozialindexstufe der Grundschule korreliert., in der Sozialindexstufe 5 und 6  sind es 10% weniger als in der Sozialindexstufe 1und 2.. Die Untersuchung nennt z.B. den Wunsch nach Realschulen bei Eltern deren Kinder eine RS-Empfehlung (22%) bekommen oder erwarten, oder nach Hauptschulen in Grundschulen mit den Sozialindexen 7 und 8. Bedenklich ist also, dass immer noch soziale Milieus den Schulwunsch so deutlich prägen.

Es gibt 20% der Eltern, auch in Klasse 4 , die hinsichtlich des angestrebten Schulabschlusse sich noch nicht festlegen wollen. Dies eröffnet Möglichkeiten für integrierte Schulsysteme. Wenn Eltern sie vor Ort anwählen können.

Fazit:

Die Bildungsgefälle in den Kölner Stadtbezirken sind z.T. hoch, das wirkt sich auf die Schulwünsche der Eltern aus. Dieses Bildungsgefälle gilt es  aber durch ein Bildungsangebot auszugleichen, dass auch Kindern aus herausfordernden Stadtteilen den Zugang zu allen, auch zu Abiturzugängen ermöglicht. Hier steht die gesellschaftspolitische Verantwortung einer Schulentwicklungsplanung in der Pflicht. Primat der Politik.

  1. heißt konkret, dass hier (auch Gymnasien und) Gesamtschulen als integrierter Schulform für die Bürgergesellschaft besonders wichtig sind.

Auftretender Widerspruch: Im Gegensatz zu den Untersuchungsergebnissen haben in  vergangenen Anmeldeverfahren haben z.B. in Mühlheim 52% der Eltern eine Gesamtschule gewünscht und nur 38 % ein Gymnasium.

Die Anmeldezahlen in GeS Rodenkirchen für einen Gesamtschulplatz stehen gleichfalls in Widerspruch zum dargelegten Elternwahlverhalten der Untersuchung. Hier handelt es sich zudem um eine bürgerlichen Stadtteil.

Die allgemeinen Anmeldezahlen in Köln an den Gesamtschulen stehen gleichfalls im Widerspruch zu den Untersuchungsergebnissen. Auch wenn man den vergangenen Termin der Mehrfachwahlen auslässt, bleibt eine konstanter Überhang von 700 bis 900 Anmeldungen.

 Bei der Diskussion der Ergebnisse ist darauf zu achten , dass die Anmeldezahlen nicht gegen die Untersuchung ausgespielt werden. Die Anmeldezahlen hat das Institut nicht untersucht, es hat nur das Anmeldeverfahren dargestellt.

 

Schulortnähe:

Die Schulortnähe spielt für die Elternentscheidungen eine erhebliche Rolle. Dies bestätigt die Untersuchung, Pfeuffer kommt zum selben Ergebnis. Dies ist richtig aber auch durch die Erfahrungen zur Grundschule (kurze Beine, kurze Wege) bestimmt. Dagegen steht der Elternwunsch nach Schule mit gutem “Ruf“, gleichfalls wichtig und besonders ausgeprägt in bürgerlichen Stadtteilen. Und nicht untersucht: die Peergroup aus der Grundschule im Übergang zur weiterführenden Schule. Außerdem spielt mit wachsendem Alter der Jugendlichen dieser Punkt der Wohnortnähe eine immer geringere Rolle. Dies hat die Untersuchung nicht erfasst.

Fazit für die Gesamtschulplanung: Da, wo eine Gesamtschule angeboten wird kann sie wohnortnah auch angewählt werden.

Teilstandorte, die weit auseinander liegen oder nicht im geplanten Ortsbereich einer zu errichtenden Gesamtschule liegen, sind zu vermeiden (Negativbeispiel Lindenthal). Es besteht aber bei einem Interimsstandort, der auch provisorisch sein kann, die positive Möglichkeit einer  hohen Akzeptanz ( siehe GeS Wasseramselweg)

Pfeuffer sieht das ähnlich, er sieht darin auch eine Bestätigung des Schulentwicklungsplans.

Realschulen und Hauptschulen:

Die Realschulen sind in Zukunft keine Alternative zur Zweigliedrigkeit des Schulsystems. Sie werden dort angewählt, wo sie auch ortsnah erreichbar sind (rechtsrheinisch), sie werden  angewählt von Eltern deren Bildungserwartungen eher zurückhaltend sind. Sie füllen sich, wie die Hauptschulen, mit zunehmender Abschulung anderer Systeme. Und sie sind teuer: eigene Schulleitung, eigene Schulbauten für kleine Systeme.

Die Hauptschulen werden auch in der Untersuchung leider als Restschulen markiert, die ihre Aufgabe nach Versagen der anderen Systeme übernehmen muss. Die soziale Segregation, die damit für abgeschulte Schüler*innen stattfindet, darf auf keinen Fall weiter öffentlich gefördert werden. Die Untersuchung belegt diesen Hang zur sozialen Segregation genauso wie Pfeuffer.

Diese, auch im Ausschuss gepflegte gängige Diskussion, dass Hauptschulen gebraucht werden um die Abgeschulten aufzunehmen ist nicht hinnehmbar, da diskriminierend und spaltend. Hier muss eine politische Positionierung genauer formuliert werden. Primat der Politik.

Dazu braucht es verlässliche Zahlen über Abschulungen: Vianden ist nicht verlässlich und überschreitet ihre Kompetenzen!, die Zahlen sind nicht mit allen Dezernaten im RP abgestimmt., die NRW-Zahlen sind andere (siehe meinen Auszug), die Behauptungen von Frau Ruffen, dass Gesamtschulen 20 % abschulen muss öffentlich entgegengetreten werden. Gesamtschulen schulen in sehr geringem Maße ab, geben allerdings erheblich aus ihren internationalen Klassen, Eingliederungsklassen Schüler*innen in das dreigliedrige Schulsystem ab, weil ihre Regelklassen voll sind und eine weitere Aufnahme nicht möglich ist. Vielleicht liegt darin der Grund für die vermeintlichen Zahlen?

 

Inklusion

Inklusion ist aus der Untersuchung ausgegliedert, weil sie nicht untersucht wurde. Dies ist ein gravierender Mangel der Untersuchung. Die Wirkung praktizierter Inklusion kann den Elternwillen extrem beeinflussen. Da es kleinere Klassen gibt, auch eine z.T. höhere Lehrerbesetzung kann davon ein positiver Effekt ausgehen. Gleichzeitig haben wir die Situation, dass durch die fehlende Inklusion an Gymnasien die Segregation weiter bestätigt  wird. Hier werden Elternmotivationen gefestigt, die gesellschaftlich nicht akzeptabel sind.

Fazit:

Die Inklusion bedarf dringend einer weiteren Erforschung und einer erhöhten Öffentlichkeit. Pfeuffer macht hier Vorschläge, denen man sich anschließen kann. Der vorgeschlagene Kreis der Beteiligten erscheint aber zu eng und unpräzise. Die an der Umsetzung der Inklusion Beteiligten im RP und in der Verwaltung brauchen eine fachkundige Kontrolle. Hier herrscht verständlicherweise die Problematik der Versorgung/Quantität vor. Die Frage der Qualität und die didaktische Problematik muss mehr in den Kreis aufgenommen werden. Dazu sollten wir Experten- Personalvorschläge machen. Primat der Politik.

 

Schulformempfehlungen

Eine weitere, nicht unerhebliche Schwäche der Untersuchung liegt in der Begründung durch die Schulformempfehlungen. Die Untersuchung sieht diese auf ihrer Datenbasis beruhend als Handlungsleitfaden der Eltern und der Schulplanung. Davor ist ausdrücklich zu warnen, da unterschiedliche Untersuchungen die begrenzte, bis sehr reduzierte Aussagekraft der Schulformempfehlungen in Deutschland nachweisen. Diese Untersuchungen hat aber das Institut nicht mit einbezogen, was wohl hauptsächlich daran liegen mag, dass dieses Institut sich bildungsökonomisch ausrichtet. Allerdings muss man dies ernst nehmen, da in der Untersuchung auch die Empfehlung ausgesprochen wird sich diese Grundlage zur Schulplatzplanung heranzuziehen

Im Übrigen gibt es keine Schulformempfehlung explizit für die Gesamtschule. In Köln wird sie aber zusätzlich ausgewiesen.

55% der Eltern erwarten eine gymnasiale Empfehlung, 23% erwarten und erhalten eine Realschulempfehlung oder eingeschränkte GymEmpfehlung. Davon wählen 48% das Gymnasium an, 25 % die Gesamtschule , 20% wurden nicht erfasst, da dazu keine Angaben gemacht wurden. Ein nicht erheblicher Anteil hat also gar  keine Angabe gemacht.

Schulentwicklungsplanungskonferenzen

Dem Vorschlag von Pfeuffer ist ausdrücklich zuzustimmen. Hier liegt auch die Möglichkeit politische Fehlentscheidungen (Rondorf, Neubrück) zu erschweren.

Die Untersuchung hat Corona Auswirkungen  nur bedingt berücksichtigt. Sie zeigt hier wie verunsichert Eltern in sozial schwierigen Lagen sind, da hier mehr Wiederholungen angefragt sind. Die höchste Zustimmung eine andere Schulform zu wählen gibt es in Chorweiler mit 5%. Inhaltlich ist hier nicht weiter untersucht worden.

Der Einschätzung Pfeuffers, dass sich die Schullandschaft weiterhin auf eine Zweigliedrigkeit zubewegt ist zu stützen. Er sieht hierin sicher auch ein Entgegenwirken zur sozialen Segregation. Seine Ausführungen zur Entwicklung der Elternwünsche (Corona , innere und äußere Strukturen) erscheint mir nicht uneingeschränkt öffentlichkeitstauglich. Manches innere Chaos an Schulen , gerade in der Corona Phase, war und ist nicht schulformbezogen, sondern sehr an der einzelnen Schule zu orten. Da ist eine endlose individuelle Beispieldiskussion im Ausschuss zu befürchten, die nicht weiterbringt in der Frage der grundsätzlichen Schulformpräferenz.

Pfeuffers Erläuterungen sind grundsätzlich hilfreich für die Positionierung in der Diskussion. Er versucht den geltenden Schulentwicklungsplan, die Stärkungsinitiative und eine zukünftige Schulentwicklungsplanung zu verknüpfen. Darin ist er wirklich nur zu unterstützen. Man wird allerdings mit Einzelbeispielen aus der Untersuchung versuchen diese Position in Frage zu stellen (Realschulen, Zahlen zur Gesamtschulanwahl…) Da hilft nur eine gute Vorbereitung in Einzelheiten. Primat der Politik.

 Die Aussage der Untersuchung „Gymnasien sind nicht ohne weiteres durch Gesamtschulen zu ersetzen (und vice versa)“ ist schwieriger zu bearbeiten. Hier wird auch darauf hingewiesen, dass Realschulen und Hauptschulen durch Gesamtschulen ersetzbar, nicht aber Gymnasien ersetzbar seien. Es wird aber auch zitiert: Eltern betreiben Schulwahl vor dem Hintergrund des bestehenden Angebots im Stadtbezirk. Dieses Argument gilt es zu stärken zumal es mit der Problematik der sozialen Segregation stark korreliert. Pfeuffer greift das in seinen Erläuterungen implizit auf. Primat der Politik.

Persönliche Anmerkungen:

Es wurde versucht die wichtigsten  Ergebnisse der Untersuchung und die Ausführungen von Pfeuffer zusammen auszuwerten damit man in der Diskussion beides zur Hand hat. Es ist dabei natürlich nichts vollständig darzustellen möglich gewesen.

Primat der Politik kennzeichnet Aspekte, die wir ansprechen sollten, wo wir handeln müssen oder wo unliebsame Diskussionen zu erwarten sind.

Köln, Januar 2023 Prof. Dr. Anne Ratzki